Fahrradeindrücke aus der Nacht
In der Nacht vom 1. zum 2. Juli war der Himmel mit einer bleiernen Wolkenschicht zugeschoben. Nur vereinzelte Löcher zeigten den Himmel mit durchfunkelnden Sternen.
Wochenlang zuvor war es sonnig und warm gewesen, die Bodenseeregion war wie in einem Sommernachtstraum versunken.
Eine knappe halbe Stunde vor Mitternacht: unmittelbar färbte sich der Himmel saturnrot, flackerte und gab einen unwirklichen Lichtschein auf Straßen, Häuser, Wiesen und Hügel. Danach das donnernde Dröhnen und dumpfe Pfeifen... das konnte kein Gewitter sein.
Zwischen den Wolkenrissen war ein greller Feuerschweif zu sehen, zu schnell für einen Kometen, zu langsam für einen Meteorit...
Da fiel etwas aus dem Himmel, fiel in mehreren Teilen von oben auf die Wolkendecke zu, tropfte durch sie hindurch, wie brennendes Öl, sehr langsam.
Je näher, um so schneller - unberechenbar. Taumelnde Trümmer grell brennend und lauter und lauter, fackelnd - fauchend.
Die Einschläge und Explosionen - Stichflammen, Feuer und Qualmpilze erzeugend. Wie nahe - weit entfernt und - ... hat es Leben getroffen?
Die Bergung
Tiefe Betroffenheit aller Menschen und Mitleid bestimmten die Tage in Owingen, Überlingen und Umgebung. Pausenlos waren die Einsatzkräfte unterwegs, Tag und Nacht. Anwohner brachten Kaffee und Gebäck zur Stärkung. Taktgefühl und besonnene Hilfe bei der Bergung der Opfer waren zwischen Bürgern und Einsatzkräften zu spüren.
Die Einsatzleitung inmitten von Owingen, stetig Hubschrauber, Einsatzwagen und die vielen Pressevertreter verwandelten das verträumte Dorf in ein fieberndes Krisenzentrum.
Der Ortmittelpunkt war verändert, die Menschen waren aufgerüttelt, das Schicksal der Kinder und verstorbenen Erwachsenen allgegenwärtig zu spüren.
Ein solches Ereignis rüttelt uns wach
-berührt tief das Menschliche und stellt uns Fragen nach dem, was uns im Leben wesentlich ist; jeden Einzelnen und doch alle gemeinsam zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
Hier versagen die bloßen Worte und Erklärungen. Wir spüren genau, das Leben und der Tod der Kinder war nicht sinnlos. So formulierte es auch Erwin Teufel, Ministerpräsident des Landes Baden - Württemberg anlässlich einer Gedenkfeier in Überlingen.
Wir fühlen uns aufgerufen und verpflichtet, das Schicksal als Herausforderung anzunehmen. Damit ist auch die Verbundenheit dieser Region und Ortschaft mit den Verstorbenen und deren Angehörigen eine Tatsache.
Die Pflege und Auseinandersetzung mit dem Ereignis, mit der Zeit und dem Ort und besonders mit den Menschen, benötigt Aufmerksamkeit und Achtsamkeit.
Die Auseinandersetzung
Im Zentrum der Gemeinde Owingen wurde ab Mitte Juli 2002 an einer Raum-Installation mit dem Titel „Ort der Achtsamkeit“ gearbeitet.
Es war das letzte noch fehlende Werk im Rahmen des „Owinger - Kunstsommers“. Denn Owingen veranstaltete in diesem Sommer, auf Initiative des neuen Bürgermeisters Herrn Former, ein Kunstfestival.
Der Entwurf stand bereits Wochen vor dem tragischen Ereignis fest, bearbeitet von dem Künstler und Landschaftsarchitekten Herbert Dreiseitl, der selbst in der Ortsmitte von Owingen lebt.
Lediglich in seiner Bedeutung vertieft und angepasst, wurde die Arbeit zwei Wochen nach dem Flugzeugabsturz begonnen, die Fertigstellung erfolgte dann Anfang August.
Soziales Engagement
Die Zusammenarbeit und freie Mitwirkung einer Gruppe von Unternehmern und Freunden war das eigentlich Besondere am Bau. Diese Menschen waren alle in direkter Weise von den Ereignissen betroffen und ihr großer Einsatz machte diese Installation erst möglich.
Alle Arbeitsleistungen waren großzügig gespendet und die Materialien unentgeltlich gegeben.
Diese Arbeit ist in einer sehr kurzen Zeitspanne von drei Wochen entstanden
Alle Beteiligten waren äußerst beweglich, gaben dem Werk Priorität und stellten andere Arbeiten, auch unter wirtschaftlichem Verzicht, zurück. Weder Bürokratie noch aufwändige Genehmigungsverfahren haben den künstlerischen und handwerklichen Prozess behindert. Die Zusammenarbeit auch mit der Gemeinde war vorbildlich.
Das Leben ist spontan und Orte sind im Wandel, so sagt der Künstler:
„Es ist mein Wunsch, dass das Werk an dieser Stelle temporär bleibt und nach Errichtung einer offiziellen Gedenkstätte wieder entfernt werden kann.“
Zu einer geplanten Gedenkstätte für die Opfer des Flugzeugabsturzes bei
Überlingen und Owingen soll das Projekt weder Ersatz noch Konkurrenz sein. Doch es ist eine Be- und Verarbeitung dieses Ereignisses: persönlich, innerlich und unbürokratisch, ausdrücklich und vor allem mit künstlerischen Mitteln.
Die zentralen Teile der Skulptur: drei reliefartig strukturierte Stahlplatten, über die Wasser rieseln wird, mit jeweils drei Metern Höhe und einem Meter Breite, waren zum 1. Juli bereits fertiggestellt.
Die Installation liegt unmittelbar neben der Mehrzweckhalle (Treffpunkt und Versorgung der Einsatzkräfte während der Bergungsarbeiten), einem Sportfeld mit Toren und dem Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr. Auf der ebenen Fläche wurde ein sanfter Hügel errichtet, Durchmesser ca. zwanzig Meter, in den drei Einschnitte zu einem vertieften Innenraum führen. Zwei Einschnitte sind durch einen Weg in die Tiefe begehbar, der dritte Einschnitt nach Süden ist unzugänglich.
Wer diese Rauminstallation betritt, ist von der Außenwelt abgeschirmt, nur noch die Erde und der freie Himmel bleiben sichtbar. Drei rohe Stahlplatten die im Laufe der Zeit rosten und vergehen werden, tragen strukturierte Oberflächen; diagonal in den Boden eingerammt ragen sie über den Hügel hinaus.
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Wasser gleitet leise über jede Fläche, ein feines klingendes Geräusch und die Reflektionen des Himmels bilden den Innenraum. Achtsamkeit gegenüber diesem Himmel über uns und für diese Erde unter uns wird vom Innenraum aus ebenso wahrnehmbar sein, wie die Vergänglichkeit des Materials unmittelbar vor dem Betrachter.
Das Unfassbare des Lebens liegt im Symbol des Wassers und ist mehr als die physische Substanz. Die Offenheit des Himmels und das Licht, dem erst in der Abschirmung und Reduktion Achtsamkeit geschenkt wird, sind die zentralen Themen. Die Vergänglichkeit der scheinbar robusten Stahlplatten, das Rosten, Verfallen und Auflösen und dennoch - das kostbare weiche und lebenserhaltende Wasser, welches fortbesteht, ist der Trost für den Achtsamen.
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Der Hügel wurde mit kleinen wilden Strauchrosen aus Westsibirien und flachwüchsigen Latschenkiefern bepflanzt. Diese wurden mit Hilfe der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Birmensdorf, über den Leiter des Forstgartens Lobsigen im Kanton Bern (Schweiz), Urs Rohner und der Uralischen Forsttechnischen Akademie in Jekaterinburg (Russland) gespendet.
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Der dritte Einschnitt, Richtung Süden, wurde mit einigen Birken bepflanzt; im Unterholz werden Preisel- und Heidelbeersträucher gedeihen. Die verwendeten Pflanzenarten sind typisch für die trockenen, locker bewaldeten Gegenden Baschkiriens.
Tief bewegt haben uns die Tage des freundschaftlichen Besuches der jungen Menschen und Angehörigen aus Baschkirien.
Gemeinsam mit unseren Gästen, der Jugendfeuerwehr Owingen und der Bevölkerung, haben wir am 30. Juli 2002 in Stille die 71 westsibirischen Rosen gepflanzt.
Mögen ihr Duft und ihr Leuchten uns Brücken bauen. Brücken nach Ufa und zu unseren Freunden nach Baschkirien, Brücken in die Welt der Gedanken und in die Welt der Verstorbenen.
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Erstellt in liebevollem Gedenken an die 71 verstorbenen Menschen,
erstellt für die Angehörigen und Freunde aus Baschkirien,
erstellt in großer Dankbarkeit und als Gruß an alle Mitwirkenden.
Owingen, den 13. November 2002
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