Nicht
rückgängig zu machen und vergessen nicht möglich
Mit
Eisen auf Stein sind gezeichnet die Worte
Und
du hörst eine Mutter untröstlich weinen
Um
den Sohn: er ist nicht mehr zu umarmen...
Nicht
rückgängig zu machen, doch Gedächtnis noch frisch
Die
Träne rollt wieder die Wange hinab
Das,
was war, wiederkehren möchte ich
Und
die Zeit soll laufen zurück
Nicht
rückgängig zu machen und vergessen nicht möglich,
dem
Tode trotzen die Worte wieder
der
Gedanke an jemanden wühlt das Herz auf
dort; wo die Wunde gerade vernarbt...
vom
29.05.02
*27.4.1987 † 1.7.2002
Eines ihrer letzten Gedichte Nachdichtung Nadja Wintermeyer
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![]() Bild für ein Geschenk an die Hinterbliebenen: Daniela Einsdorf, Überlingen |
"...Ich fiel von der Mondsichel Von ihrer scharfen Kante Und lange bin ich geflogen Flog bis ins Paradies." (zwei mögliche Übersetzungen, und weitere Gedichte) |
"...Ich
fiel von der Mondsichel von deren schmalem Zipfel, dann flog ich furchtbar lange und erreichte den Himmel." |
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Soja Fedotowa
Sergeewna |
„...Ich kann fallen, stürze ab, mein Fuß rutscht von der Wolke. Sich satt zu fliegen in einer Minute Ist besser als Blindsein - tagein tagaus." |
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„Möchte wie ein Vogel fliegen, aber es gelingt mir nicht, Vielleicht träume ich schon wieder, dass die Träume sich verwirklichen?"
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Hier gebieten die Zeit und der Tod, Doch in Ewigkeit herrschen sie nicht. Ob auch Dunkel und Sterben uns droht - Ewig leuchtet das ewige Licht. |
Tod und Zeit regieren auf Erden, - Du nenne sie Herrscher nicht: Alles Umherirrende im Finstern verloren, Beständig ist nur der Liebe Licht. Wladimir Solowjew in zwei Übersetzungen |
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Vom 27.7. - 3.8.02 findet in Überlingen am Bodensee eine Internationale Jugendtagung statt. Sie steht unter dem Motto "Brücken - unsere Chance". Es schien uns ein bedeutsames Zusammentreffen und eine Chance, die durch das tragische Flugzeugunglück neu entstandene Beziehung zu dem Gebiet Baschkortostan positiv aufzugreifen. Die Überlinger Übersetzergruppe hat über die Stadt Überlingen 14 Jugendliche und 5 Begleiter aus Baschkortostan zu diesem "International Student Congress Lake Constance www.isl2002.de" eingeladen. Herr Pletnjov, Vertreter der Republik Baschkortostan in Wien sagte dazu, daß er den Eindruck gewinnen konnte, daß eine weiter gehende Beziehung zwischen den Ländern Baden-Württemberg und Baschkortostan entstehen könne, und kümmerte sich sofort persönlich um die Weiterleitung an den Präsidialamtsleiter Herr Gimajev, welcher nun den Leiter des Komitees der Republik für die Angelegenheiten der UNESCO, Herr Sufjanov beauftragte, dieser wird auch teilnehmen.
Dazu möchten wir noch einige Gedanken aussprechen.
Brücken sind tragkräftig, wenn auf beiden Seiten gleichfeste Pfeiler stehen. Es lebt hier ein tiefes Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer des Flugzeugunglückes. Eine Welle der Hilfsbereitschaft schuf Verbindungen unter den Helfern und den Anwohnern. Dazu kommt eine tiefe Dankbarkeit angesichts der Tatsache, daß hier am Boden niemand verletzt wurde. Durch die Angehörigen der Opfer wurde gegenüber der Bevölkerung, allen Helfern und Verwaltungsbehörden eine große Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht für die vorbildliche Organisation, den ruhigen und würdevollen Umgang mit ihrem Leid und gerade auch für das Mitleid, welches sie hier durch die Menschen der Bodenseeregion erfahren konnten.
Wir Dolmetscher sahen uns zunächst dabei in einer rein vermittelnden Position, mehr oder weniger vorbereitet trafen wir auf die durch schweres Leid gezeichneten Angehörigen. Es galt zunächst einfach Informationen verständlich zu machen. Doch alle Beteiligten waren durch das Miterleben des Leides selbst betroffen; man half, und spendete Trost, so weit das überhaupt möglich war, und sprach mit den Menschen über ihre Angehörigen und deren Leben. Bei der Abfahrt der Hinterbliebenen durften wir deren Dankbarkeit erleben. Sie sprachen aus, dass sie sich vor dieser notwendigen Reise sehr gefürchtet hätten, dass ihnen durch das ganze Erleben und die Hilfe der Menschen hier - auch und gerade der Behördenmitglieder - nun leichter ums Herz sei. Zwischen einigen Übersetzern und Angehörigen ist ein herzlicher Kontakt aufrecht geblieben durch Telefonate und Emails.
Vielfach bewunderten wir die Haltung, mit der manche dieser Menschen, überwältigt von ihrem Leid dennoch die Befragungen nicht abbrechen, sondern mit aller Kraft zur Aufklärung beitragen wollten. Wir konnten eine ganz neue Seite des Islam kennen lernen, als Menschen ausdrückten: "Ich lernte durch meine Religion, sich nicht gehen zu lassen, auch nicht in den Augenblicken, wo einen größtes Leid trifft; gerade jetzt möchte ich Haltung bewahren". Oder auch zu erleben, wie die Klagen und das Weinen an der Absturzstelle sich beruhigten und ein Friede sich ausbreitete, als der islamische Imam begann, seine zeremoniellen Gebete zu singen.
Auch uns berührte es tief, auf Menschen zu treffen, welche aus einer starken, lebendigen Kultur kommen. Das wurde verstärkt durch den bewegenden Artikel aus der staatlichen Presseagentur "Bashinform" über den Tag der Angehörigen hier in Baden-Württemberg. Diese Menschen kommen aus der östlichen Grenzregion des geografischen Europas, ein Gebiet, über das wir hier alle bis dahin so gut wie nichts wußten. Auf der Internetseite www.bashedu.ru, auf welcher auch in deutsch das Land beschrieben wird, ist die Darstellung unterteilt in: Republik Baschkortostan, Ufa - die Hauptstadt, die Theater, Schriftsteller, Museen Baschkortostans, Melodien der Freundschaft, die Natur. Hier zeigt die Gewichtung, welch hohen Stellenwert die Kultur in diesem so fernen und uns menschlich inzwischen so nahem Land einnimmt. Wir hoffen sehr darauf, dass diese zarten Beginne einer Beziehung nicht durch das Tagesgeschäft der Politik völlig übertönt werden, sondern dass wir Unterstützung haben werden auch über die aktuelle Stunde hinaus im Bemühen um die Verständigung und Begegnung der Menschen und Kulturen dieser beiden Gebiete.
Überlingen, 19.07.02 - Aus dem Übersetzerteam
Elisabeth Beringer, Sergej Bojkov, Jürgen Rädler, Anja Romanenko, Angelika Weinmann
Gisela Munz-Schmidt
Trümmer und Gerste
Gedichte zum 1. Juli 2002
Modell der
Rauminstallation "Orte der Achtsamkeit"
von Herbert Dreiseitl
TRÜMMER UND GERSTE
Es sind an jenem Abend
keine Raben über den Himmel geflogen
und Schwäne habe ich auch nicht
ziehen sehen,
und doch ist in jener Nacht
das schwarze Unheil über uns hereingebrochen
und ebenso ist erschienen
das blanke Glück.
Wenn das Schicksal so wirkt,
unheimlich, ungeheuerlich-
ein unglückseliger Zusammenprall,
vom Himmel stürzt ein Feuerball-
wenn das Schicksal so wirkt,
dann ist es das Verhängnis,
das böse Verhängnis.
Und unser blankes Glück?
Vorsehung. Fügung. Führung.
Oder doch alles nur Zufälle?
Ursachen und Wirkungen.
Technik und Mensch.
Ich ringe mit meinen Begrenztheiten.
Gerste haben sie mitgenommen und Erde.
Und wir leben zögerlich weiter
zwischen Raben und Schwänen:
Trümmer und Gerste.
WIR ER-INNERN
Ihre Körper sind alle gefunden worden,
aber die vielen Helfer
sind hilflos geblieben
und die Retter
konnten niemand mehr retten.
Nur noch bergen konnten sie,
und wir sind aus der Geborgenheit
unserer schönen Landschaft gerissen worden
und sahen
den blutenden Himmel
und hörten
die schmerzenden Einschläge
und spürten
das zerstückelnde Zerstören.
Verstört waren wir,
entsetzt, erschüttert,
aber selbst glückhaft
davongekommen.
Dann lernten wir,
woher sie kamen:
Piloten aus Kanada, Großbritannien und Russland.
Kinder aus Baschkirien.
Zwei Väter konnte ich
für eine Nacht
Obdach bieten.
Jetzt will ich die Seelen ihrer Töchter
in meinem Herzen aufnehmen,
denn manche sagen,
die Seelen bleiben hier.
Wir werden die Seelen alle finden-
In den Wäldern
Zwischen den Feldblumen
In den Gärten
Unter den Bäumen
Über dem See
Wir werden sie alle heimholen
und
ganz
behutsam
gut
zu
ihnen
sein.
NETZWERK
Die einen haben die Straßen abgesperrt
und die anderen mit Taschenlampen
die Maisfelder durchkämmt
bis zum Morgengrauen.
Bis zum Morgen-Grauen.
Eine Frau hat Leichnamsteile in ihrem Vorgarten gefunden
und sie gnädig zugedeckt mit Tüchern und Tränen.
Viele sprachen Gebete
über die unsäglichen Trümmer,
und sie weinten vor den Wrackteilen,
die wie verständnislose Mahnmale in den Himmel starrten-
Fragen und Klagen: Warum?
Tee, Kaffee, Kuchen, Torte.
Das Suchen mitmenschlicher Augen.
Verstehen ohne Worte.
Das Stammeln von Namen.
Hände und Obdach für alle, die kamen.
Am Abend dann Schmerzen.
Müde Augen. Wehe Füße.
Gespräche mit Freunden,
Umarmung, Grüße.
Analysieren. Sortieren. Sichten.
Dokumentieren. Berichten.
Pässe ausstellen und Sterbeurkunden.
Trösten. Und Blumen niederlegen.
Oder andere Liebeszeichen.
Das Entzünden von Kerzen.
Die Toten wurden zu unseren Angehörigen
und die Helfenden zu unseren Freunden.
Ein Teppich, ein Netzwerk
von Menschen und Herzen.
RETTUNG
Wie überschwemmt
Und fast schiffbrüchig
Rettete ich mich
Auf meine Insel.
Mein Fels.
Mein Brunnen.
Und Handy
E-mail
Telefon.
BLUMEN UND HÄNDE
Für jeden Namen
eine Rose
Für jeden Toten
einer,
der sich erinnert
und sich neigt
und zeigt:
Das Leben
bleibt ein Fluss.
Im Schluss
ein Anfang,
und solch großes Leid
zeugt Freundschaft
und Verbundenheit.
Gute Hand Mitmenschlichkeit.
Rote Rose Trost.
LEBENSREISE
Die Sondermaschine haben die Särge
in die Heimatländer
zurückgeflogen.
Die Toten sind alle begraben.
Die Gebete in allen Sprachen
sind gesprochen.
Die Menschen waren hier
und dort in Trauer vereint.
Und nun muss jeder selber weiter
auf seine Lebensreise gehen
und sein jeweils Eigenes tragen.
Verlust ist schweres,
Liebe ist leichtes Gepäck.
Eines Nachts
werden wir wieder
den Sternenhimmel betrachten können
ohne Tränen in den Augen,
lächelnd, staunend,
und wir werden zusammen
helle Sommermorgen erleben
und in die Tage gehen,
unbeschwert.
Und Gerste
wird um den Gedenkstein
wachsen ...
und rote Rosen
werden
aus Erde
und Aschenstaub
erblühen ...
In Gedanken für die Opfer des
Flugzeugunglücks vom 01. Juli 2002, deren Familien,
Angehörige und Freunde aus der Russischen Föderation,
Kanada und England:
gestern nacht
glühte der himmel
durch ein meer von wolken
weinten die sterne am firmament
nächtlicher sonnenaufgang
im todesmoment seines
unwirklichen untergangs
unsagbare traurigkeit sinkt
kometenhaft durch das dunkel
der erde entgegen
die hoffnung liebe der seelen
machtlos nehmen die bilder
unseren herzschlag gefangen
gefrieren unsere tränen zu stein
stirbt unsere hoffnung einen
der vielen tode am himmel
ohnmacht und schmerz
durchbohren die herzen
die mütter väter brüder
und schwestern
der freunde...
jedes schicksal hat ein gesicht
das uns heute nacht
ohne erbarmen ansah
noch lange wird es in den herzen
der betroffenen um sich schlagen
ihren seelen umherwandeln
in unserem erinnernd pochen
tief ist unser mitgefühl mit ihnen
von liebe umarmt unser herzschlag
die aura der opfer und angehörigen
in seiner mitte fühlend
getragene seele erträgt alles
umarmt den schmerz mit der zeit
der nie weichen mag
doch im sekundenschlag
der ewigkeit uns alle vereint...
christopher th. j. roenn in der nacht zum 02.07.2002 an die
botschaften der russischen föderation, kanadas und englands.
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