Kräfteübersicht der nicht-polizeilichen Einsatzkräfte

Organisation      

Helfer        

Fahrzeuge*

Boote

Stunden

DLRG

60

-

22

482

DRK

265

41

-

4.261

Feuerwehr

484

68

5

6.539

JUH

44

7

-

189

Rettungshundestaffeln

71

12

-

675

Kriseninterventionsdienst/NFS

35

10

-

726

TEL mit Fachberatern

30

-

-

180

THW

216

36

2

4.519

gesamt:

1.205

174

29

17.571

 

 

 

 

 

 

Bericht zum Einsatz der Hilfs- und Rettungsorganisationen beim Flugunfall über der Bodenseeregion

In der Nacht vom 01. auf den 02.Juli 2002 kollidierten zwei Flugzeuge im Luftraum über dem Bodensee. Das Unglück, das 71 Menschenleben forderte, zog einen einwöchigen Großeinsatz der Hilfsorganisationen, allen voran der Gemeindefeuerwehren, nach sich. Insgesamt waren über 1.200 nicht-polizeiliche Einsatzkräfte beteiligt, die mehr als 17.500 Einsatzstunden leisteten. Alleine die Feuerwehren boten über 500 Helfer, knapp 70 Fahrzeuge und fünf Boote auf. Feuerwehrseitig wurden an die 6.600 ehrenamtliche Einsatzstunden geleistet, die Gemeindefeuerwehren Owingen und Überlingen waren eine Woche lang im Dauereinsatz.

 

Montag, 01.07.2002

Um exakt 23 Uhr 34 und 32 Sekunden kollidiert eine von Bergamo nach Brüssel fliegenden Boeing 757-Frachtmaschine des Carriers DHL mit einem von Moskau nach Barcelona fliegenden Passagierflugzeug des Typs Tupolev TU 154 der Fluggesellschaft „Bashkirian Airlines“ (Russische Föderation) in etwa 35.300 Fuß (= rd. 10.770 Meter) Höhe über dem Bodensee bei Überlingen. Cafés und Biergärten der Region noch gut besetzt, denn es ist eine laue Sommernacht. Hunderte Menschen, darunter auch viele Einsatzkräfte werden dadurch Augenzeugen des Unglücks. Im ersten Moment denken viele zuerst an ein Himmelsphänomen, eine Übung der Bundeswehr mit Leuchtgranaten oder ähnliches als nach einem überlauten, langanhaltenden Donnergrollen scheinbar in Zeitlupe orangefarben leuchtende Objekte zur Erde sinken. Noch ist den Augenzeugen nicht klar, dass gerade teilweise tonnenschwere, brennende Flugzeugtrümmer aus fast 11 Kilometern Höhe vom Himmel rasen und die Stadt Überlingen sowie die Gemeinde Owingen nur um Haaresbreite verfehlen.

 

Zur gleichen Zeit befinden sich zwei Fahrzeuge der DRK-Rettungswache Überlingen auf der Rückfahrt von einem internistischen Notarzteinsatz in Owingen. Um 23 Uhr 37 meldet der Rettungswagen über Funk, dass sich möglicherweise gerade ein Flugzeugabsturz ereignet. Die Fahrerin des Notarzteinsatzfahrzeuges und ihr Notarzt werden zeitgleich Augenzeugen wie leblose Körper zu Boden stürzen und ihr Fahrzeug nur knapp verfehlen. Um 23 Uhr 39 geht in der Integrierten Leitstelle des Bodenseekreises (ILSt) der erste externe Notruf ein. Die ILSt alarmiert zunächst mehrere Rettungswagen,  den diensthabenden Löschzug der FF Überlingen sowie den Kreisbrandmeister des Bodenseekreises, Henning Nöh. Zeitgleich alarmiert die Nachbarleitstelle des Landkreises Sigmaringen die FF Herdwangen-Schönach nachdem auch sie Meldungen über einen Flugzeugabsturz erhalten hat.

Um 23 Uhr 44 wird der ILSt der „Einschlag eines unbekannten Gegenstandes“ in einem Waldstück bei Taisersdorf gemeldet; sie alarmiert daraufhin die örtlich zuständige FF Owingen. Die Owinger Feuerwehr ist bereits vor dem Alarm beim Ausrücken, denn viele Feuerwehrangehörige haben das Ereignis beobachtet und sich sofort auf dem Weg ins Feuerwehrhaus gemacht. Bereits auf der Anfahrt zur ersten Einsatzstelle zählen die Feuerwehrleute sechs Leichen, die an und neben den Straßen liegen. Aufgrund einer nun einsetzenden massiven Häufung von Notrufen, die teilweise konkretere Informationen erhalten,  ergibt sich innerhalb der nächsten zwei Minuten für die Mitarbeiter der ILSt ein erstes Lagebild, wonach mindestens ein größeres Flugzeug im Gebiet zwischen Überlingen und Owingen abgestürzt sein muss. Zeitgleich wird aus Owingen der Brand eines Gebäudes gemeldet. Die ILSt alarmiert daraufhin in großem Umfang Sanitätseinheiten des Landkreises, darunter den leitenden Notarzt (LNA), ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF), vier Rettungswagen (RTW) und fünf Schnelleinsatzgruppen (SEG), sowie zwei weitere Löschzüge und die Führungsgruppe der FF Überlingen. Bei der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega) in Zürich-Kloten werden zwei nachtflugtaugliche Rettungshubschrauber (RTH) angefordert, die Nachbarleitstellen Konstanz und Sigmaringen alarmieren weitere Rettungsdienstkräfte.

Aufgrund des geänderten Lagebildes erhalten die ausrückenden Feuerwehren über Funk nun bereits die Klartextmeldung: „Flugzeugabsturz“. Die bis dahin alarmierten Einheiten der Feuerwehren treffen zwischen 23 Uhr 50 und 23 Uhr 55 an den Einsatzstellen ein. Genaue Einsatzadressen sind in dieser Nacht weder erhältlich noch erforderlich; sie sind durch die lodernden Aufschlagbrände nicht zu verfehlen. Die Feuerwehren beginnen an vier Einsatzschwerpunkten (Aufkirch, Brachenreute, Owingen und Taisersdorf) umgehend mit der Brandbekämpfung.

Dienstag, 02.07.2002

 

Um 00 Uhr 02 meldet der Gruppenführer des bei Brachenreute eingesetzten LF 16 der Feuerwehr Überlingen, daß er an einem, sich im Vollbrand befindlichem, dreistrahligen (!) Hecktriebwerk einer Maschine unbekannter Bauart mit russischen Hoheitszeichen die Brandbekämpfung mit Mehrbereichsschaum eingeleitet habe. Diese und weitere Lagemeldungen sowie Recherchen erhärten bald darauf den Verdacht, dass es sich nicht um den isolierten Absturz eines Flugzeugs sondern um den Zusammenstoß zweier größerer Maschinen handeln muss.

Die ILSt erhält nun auch die Meldung, dass ein Flugzeug oder Teile davon in den Bodensee gestürzt sein könnten; nicht identifizierte Radarziele der Flugsicherung über dem Westarm des Gewässers, dem sogenannten Überlinger See, legen diese Befürchtung nahe. Sie leitet daher einen Such- und Rettungseinsatz auf dem Bodensee ein, zu dem  die Feuerwehren Friedrichshafen und Konstanz mit ihren Feuerlöschbooten, die bayrischen Feuerwehren Lindau und Lindenberg sowie das THW Lindenberg und die um den See stationierten Einheiten der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft alarmiert werden. So kommen zunächst 15, im Verlauf der Nacht dann über 30 Boote der Hilfsorganisationen und der Wasserschutzpolizei mit Suchmannschaften zum Einsatz. Im Abstand von jeweils rund 100 Metern suchen die Bootsbesatzungen die ganze Nacht hindurch die Wasseroberfläche des Überlinger Sees nach möglichen Absturzopfern, Trümmerteilen und Anzeichen für ausgelaufenen Treibstoff ab. Neben der Hauptaufgabe, soweit möglich noch Menschen retten zu können, gilt die Sorge der Helfer auf dem See auch dem Gewässer selbst, denn der Bodensee ist der größte Trinkwasserspeicher Europas, von dem Millionen Menschen in drei Staaten abhängig sind.

Um 00 Uhr 17 werden die Feuerwehren Salem und Frickingen ins Schadensgebiet bei Taisersdorf entsandt, wo sich die Owinger Ortsteilwehren Taisersdorf und Hohenbodman unterstützt durch die FF Herdwangen-Schönach im Einsatz befinden. Die Einsatzkräfte sind zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt, die in einem kleinen Waldstück  in nahezu kompletten Zustand abgestürzte Boeing 757 zu löschen, die sich im Vollbrand befindet. Die FF Überlingen hat die Aufschlagbrände bei Aufkirch und Brachenreute mittlerweile gelöscht. Das bei Aufkirch im Einsatz befindliche TLF 16/40 fährt den nächsten Hydranten an, um sich wieder einsatzbereit zu machen und der Gruppenführer des bei Brachenreute befindlichen LF 16 ordnet zur selben Zeit den Beginn der Personensuche durch sämtliche, in diesem Gebiet befindlichen Einsatzkräfte an. Rund zwei Dutzend Feuerwehrleute, THW-Helfer sowie Polizei- und Bundesgrenzschutzbeamte  bilden die erste Suchkette dieser Nacht. Bald schon stoßen die Helfer auf die ersten Leichen in diesem Bereich.

Nachdem sich KBM Nöh, vermutlich aufgrund technischer Probleme bei der Alarmierung (Funkschatten o. ähnl.),  bislang noch nicht im Einsatz befindet, veranlasst sein Stellvertreter, StBM Louis Laurösch, der sich mit der FF Friedrichshafen mittlerweile auf der Anfahrt befindet, die Alarmierung der Technischen Einsatzleitung des Landkreises Bodenseekreis (TEL) sowie der Führungsgruppe der FF Friedrichshafen zum Einsatz als Fernmeldebetriebsstelle der TEL. Es wird beschlossen die TEL in der Feuerwache von Überlingen einzurichten. Zeitgleich mit der Alarmierung der TEL um 00 Uhr 24 werden auch der Landrat des Bodenseekreises, Siegfried Tann, sowie die zuständige Dezernentin „Recht und Ordnung“ des Landratsamtes, Regierungsdirektorin Sabine Reiser, verständigt und aufgefordert, sich in der Feuerwache in Überlingen einzufinden.

 

Den auf der Anfahrt befindlichen Rettungstauchern der Feuerwehren Lindau und Lindenberg wird als Bereitstellungsraum der an der Bundesstraße 31 gelegene Parkplatz an der Kloster- und Wallfahrtskirche Birnau zugewiesen. Ihr Einsatz wird für den Beginn der Morgendämmerung geplant. Die FF Hagnau wird um 00 Uhr 51 alarmiert. Sie richtet gemeinsam mit der FF Überlingen, Abteilung Lippertsreute einen Hubschrauberlandeplatz an einem großen Kreisverkehr zwischen Überlingen und Owingen (Andelshofer Weiher) ein. Die Hubschrauber befinden sich teilweise bereits über dem Absturzgebiet und suchen aus der Luft nach potentiellen Überlebenden. Im Laufe der Nacht kommen neben einer Hubschrauberstaffel des Bundesgrenzschutzes die beiden Rega-RTH aus der Schweiz, drei SAR-RTH sowie ein in Laupheim stationierter Großraum-RTH vom Typ CH 53 der Bundeswehr zum Einsatz.

Um 01 Uhr 10 rückt Bezirksbrandmeister Andreas Spahlinger von Tübingen aus zur Einsatzstelle an. 51 Minuten nach ihrer Alarmierung übernimmt die TEL um 01 Uhr 15 offiziell die Einsatzleitung. Als Einsatzleiter fungiert KBM-Stellvertreter Louis Laurösch.

Westlich des Absturzgebietes auf einem Firmengelände in Ludwigshafen (Landkreis Konstanz) und nordöstlich am Feuerwehrgerätehaus Markdorf (Bodenseekreis) werden für nachrückende Kräfte weitere Bereitstellungsräume gebildet. Bereits im Schadensgebiet befindliche Sanitätseinheiten und bei der Brandbekämpfung nicht mehr benötigte Kräfte werden neben dem Hubschrauber-Landeplatz am Andelshofer Weiher zusammengezogen. Die Polizei sperrt mittlerweile sämtliche Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, die sich im Bereich des Schadensgebietes befinden, komplett für den zivilen Verkehr und zieht aus dem ganzen Land massive Kräfte zusammen. Damit beginnt gleichzeitig zum Einsatz der übrigen BOS-Kräfte der bislang größte Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg.

Um 01 Uhr 30 erhält die TEL von der Polizei erste genauere Informationen über die beteiligten Flugzeuge. Es ist von bis zu 80 Passagieren zuzüglich Besatzung an Bord der Tupolev die Rede. Dies führt um 01 Uhr 35 zur vorsorglichen Alarmierung der Stabsleiter des KatS-Stabes des Landkreises. Innerhalb der nächsten 15 Minuten gehen bei der TEL Meldungen über den Fund von insgesamt 11 Leichen bei Brachenreute sowie einer nicht näher bestimmbaren Anzahl von Leichenteilen bei Owingen ein. Für Suchaufgaben werden nun weitere Feuerwehreinheiten mit Beleuchtungsgeräten, in der Regel LF 16 mit Lima, sowie vier Rettungshundestaffeln alarmiert.

Um das rund 30 Quadratkilometer große Einsatzgebiet besser zu ordnen werden von der TEL drei Einsatzabschnitte gebildet:

·   Brachenreute (Absturzstelle Tupolev)

·   Taisersdorf

(Absturzstelle Boeing)

·   Owingen

(In bzw. bei Owingen waren größere Wrackteile des Passagierflugzeugs niedergegangen und auf den Straßen und ortsnahen Feldern fanden sich zahlreiche Leichen).

Die Suchaktion auf dem Bodensee wird von der Wasserschutzpolizei in einem Polizeiabschnitt „See“ geleitet.

Um 02 Uhr 10 meldet das DRK sieben SEG´en mit 100 Helfern und 10 Notärzten im Bereitstellungsraum „Andelshofer Weiher“ einsatzbereit. Innerhalb der nächsten 30 Minuten werden fünf Suchgebiete gebildet, die dann von Feuerwehr-, Sanitäts- und THW-Einheiten abgesucht werden. Im Laufe der Nacht stoßen die Helfer auf immer mehr Leichen sowie Leichen- und Trümmerteile, deren Anzahl und Lage dokumentiert und an die TEL übermittelt wird.

Zwischenzeitlich treffen in zunehmender Anzahl Medienvertreter sowohl im Polizeirevier als auch in der Feuerwache von Überlingen ein. Um das rasant eintretende Medieninteresse zu kanalisieren erfolgt um 03:00 Uhr eine erste Medieninformation in der Feuerwache und für 04:00 Uhr wird eine erste gemeinsame Pressekonferenz mit der Polizei im „Kursaal am See“, einem größeren Veranstaltungsraum an der Uferpromenade, vorbereitet.

Um 02:56 Uhr wird ein großes Kabinenteil bei Brachenreute entdeckt. Auch hier gibt es keinerlei Anzeichen für Überlebende. Die TEL nimmt in der Zwischenzeit direkt Kontakt zur Flugsicherung und der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) auf, um weitere Einzelheiten über mögliche Opferzahlen und Beladung der Flugzeuge zu erhalten. Nach diesen Informationen ist die Tupolev mit mindestens 93 Insassen abgestürzt. Später stellt sich heraus, dass diese Zahl auf 69 Personen korrigiert werden kann. Von der Frachtmaschine wird bekannt, dass sich  zwei Besatzungsmitglieder, sieben Tonnen Fracht und acht Tonnen Kerosin an Bord befanden. Um 03 Uhr 45 wird die TEL-Anfrage nach weiteren Recherchen auch dahingehend beantwortet, dass sich an Bord der Frachtmaschine kein Gefahrgut befand. Die Suchaktion auf dem Bodensee ergab bisher keinerlei Anhaltspunkte für einen Absturz von Flugzeugteilen oder Gewässerverunreinigungen. Noch immer sind die Suchtrupps unterwegs und finden bei Tagesanbruch immer mehr Leichenteile, vor allem im Bereich Owingen. Gleichzeitig stellen die Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes ihre Suche mit Infrarotkameras ein.

 

Mittlerweile liegen gesicherte Erkenntnisse über den Hergang sowie die Flughöhe der beiden Maschinen vor. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass niemand den Absturz überlebt hat. Zudem steht fest, dass es  unter der Bevölkerung am Boden keine Opfer und auch nur minimale Gebäudeschäden gibt. Die Hauptabsturzstellen liegen – wie durch ein Wunder – in Wäldern bzw. auf Feldern und nicht in den in unmittelbarer Nähe liegenden bewohnten Gebieten. Dies markiert den Übergang in eine schwerpunktmäßige „Polizeilage“. Damit werden  die Einsatzstellen zu Tatorten, die Polizei übernimmt die Einsatzleitung. Die TEL wird daraufhin um 06 Uhr 20 aufgelöst und der Einsatz der Feuerwehr-, THW und Sanitätseinheiten beendet.

Die Feuerwehren Owingen und Überlingen richten Wachbereitschaften. Sie werden den ganzen Tag über zu technischen Hilfeleistungen, wie zum Beispiel der Bergung einer auf einem Baugerüst aufgespießten Leiche mit einer Drehleiter sowie für Nachlöscharbeiten benötigt. Um 15 Uhr 12 wird der Gefahrgutzug der FF Überlingen alarmiert. In einer der Tragflächen soll sich noch eine nicht näher abschätzbare Menge Kerosin befinden, obwohl diese beim Aufprall im Vollbrand war. Als der Gefahrgutzug seine Arbeit am Abend beendet hat, haben die Feuerwehrleute insgesamt 3.500 Liter Flugbenzin aus der bis zu 4 Meter im Erdreich steckenden Tragfläche abgepumpt. Die Polizei  bringt im Laufe des Tages 800 Polizeibeamte zum Einsatz. Sie riegeln die betroffene Region nahezu hermetisch ab und beginnen mit Suchaktionen unter kriminalistischen Aspekten.

 

Mittwoch, 03.07.2002

An diesem Tag findet der wohl belastendste Einsatz im Gesamtverlauf des Geschehens statt. Nachdem die am Flugzeug angebrachten Beta-Strahler von der FF Überlingen geborgen und in Spezialbehältern gesichert wurden, werden Rumpf und Cockpit der bei Brachenreute abgestürzten Tupolev mit Rettungsscheren, Trennschleifern und Hebegeräten geöffnet.  Den Einsatzkräften von THW, Feuerwehr, Polizei und BFU bietet sich ein Bild des Grauens: bis gegen 18 Uhr werden aus dem Wrack die überwiegend bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen der beiden Piloten sowie von 22 weiteren Opfern, meist Kinder und Jugendliche, geborgen. Den Helfern steht bei dieser schweren Aufgabe ein Feuerwehr-Notfallseelsorger aus dem Landkreis Sigmaringen sowie ein Mitarbeiter des DRK-Kriseninterventionsdienstes zur Verfügung. An diesem Tag sind 650 Polizeibeamte bei der Bergung, bei weiteren Suchaktionen sowie bei der Absperrung der Fundorte im Einsatz.

Um 21 Uhr 30 wird die FF Owingen nochmals zu Nachlöscharbeiten an dem Wrack des Frachtflugzeugs alarmiert.

 

Donnerstag, 04.07.2002

Um 00:30 Uhr sind die Nachlöscharbeiten in Taisersdorf beendet. Die Bergungsarbeiten in Brachenreute dauern noch bis 04:00 Uhr an. Sie wurden über die Nacht fortgesetzt, da im Laufe des Tages die Angehörigen der Absturzopfer erwartet werden und ihnen der Anblick dieser Einsatzstelle erspart werden sollte. Aus Rücksicht auf die Angehörigen erfolgen am Donnerstag keine weiteren Bergungseinsätze mehr. Die FF Owingen stellt von 07 Uhr bis 21 Uhr eine Fahrbereitschaft für Notfallseelsorger bereit.

Die Polizei bringt 1.250 Kräfte für weitere Suchmaßnahmen und insbesondere für die Abschottung der Angehörigen von den in Scharen anwesenden Medienvertretern zum Einsatz.

Freitag, 05.07.2002

Die Bergung des Heckteils der Tupolev, an dem die Angehörigen tags zuvor Abschied von den Absturzopfern genommen haben, beginnt um 11 Uhr 06. Helfer des Technischen Hilfswerks zerkleinern unter Anleitung der Experten der BFU die Teile bis gegen 23 Uhr. Die FF Überlingen stellt den Brandschutz an der Einsatzstelle sicher. Zeitgleich ist die FF Owingen bei der Bergung der Frachtmaschine der Boeing im Einsatz.

Die Polizei hat an diesem Tag 800 Kräfte zusammengezogen und sucht schwerpunktmäßig weiter nach noch fehlenden Opfern.

 

Samstag, 06.07.2002

An diesem Tag sollen die Bergungsarbeiten abgeschlossen werden. Wieder sind THW und Feuerwehr in Aufkirch bzw. Taisersdorf im Einsatz. In Aufkirch müssen die Bergungsarbeiten unterbrochen werden, da im Verlauf der Bergung weiteres Kerosin entdeckt wird. Der Gefahrgutzug der FF Überlingen pumpt nochmals 500 Liter Kerosin aus einer Bodenmulde bei der nun mit Hilfe eines Baggers freigegrabenen Tragfläche ab.

Die Polizei ist mit 600 Mann im Einsatz. Noch immer werden kleine Trümmerstücke im Absturzgebiet gefunden, dokumentiert und abtransportiert.

 

Sonntag, 06.07.2002

Auf Wunsch der Einsatzkräfte findet gegen Abend ein Gedenkgottesdienst an der Hauptabsturzstelle der Tupolev bei Brachenreute statt. Rund 3.000 Menschen nehmen daran teil. Vertreter der Hilfsorganisationen errichten im Verlauf des Gottesdienstes ein schlichtes Holzkreuz zum Gedenken an die Opfer. Für einen Großteil der Einsatzkräfte findet damit auch das Gesamtgeschehen einen mentalen Abschluss. Die Polizei, die an diesem und dem darauf folgenden Tag jeweils rund 600 Kräfte im Einsatz hat, konnte mittlerweile die letzten beiden noch vermissten Opfer auffinden. Während ein Teil der bereits identifizierten Todesopfer Ende der Woche mit einer Sondermaschine nach Baschkirien überführt wurden, können die letzten Leichen nach ihrer Identifizierung am Freitag, den 13.07.2002 ausgeflogen werden.  

  Fazit

Die psychisch Belastung der Helfer wurde in den Tagen des Unglücks angesichts der teilweise schrecklichen Bilder durch die Medien stark in den Vordergrund gestellt. Dass die psychische Belastung der Einsatzkräfte aber nicht zur Zerreißprobe wurde, war dem traurigen Umstand zu verdanken, dass es keine Verletzten gab, die es aus schwieriger Lage zu befreien galt. Die Tatsache, dass es am Boden keine weiteren Opfer, großflächige Brände oder Gebäudeeinstürze in bewohntem Gebiet gab, sorgte ebenfalls dafür, dass die Helfer nicht über ihre Belastungsgrenzen hinaus gefordert wurden. Den Einsatzkräften, die zur Bewältigung des Geschehens jedoch Unterstützung benötigten, wurde eine professionelle Einsatznachsorge zur Verfügung gestellt. Während dem ganzen Einsatzverlauf und in der Folgezeit standen professionelle Betreuer des Kriseninterventionsdienstes des DRK, der Kirchen und der Polizei zur Verfügung.

Vom Verständnis her schwierig war für die Einsatzkräfte der abrupte Übergang zur „Polizeilage“, der auch zur Auflösung der TEL führte. Im Nachhinein wäre es nach Ansicht der TEL aber sinnvoll gewesen, die Einsatzleitung ggf. in kleinerer Besetzung unter Zusammenfassung von Aufgabengebieten einige Tage länger aufrecht zu erhalten, um die Maßnahmen der nicht-polizeilichen Einsatzkräfte besser zu koordinieren, dem Informationsbedürfnis der Medien besser gerecht werden zu können und zentral Ansprechpartner für die Verwaltungsorgane der betroffenen Kommunen und den Landkreises zu stellen. So mussten diese Aufgaben koordinierend durch den Kreisbrandmeister und dezentral durch die jeweiligen Einsatzleiter vor Ort neben deren Hauptaufgaben wahrgenommen werden.

Insgesamt hat der statistisch mehr als seltene Fall eines Zusammenstoßes zweier Flugzeuge in der Luft sämtliche Kräfte auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Die vielfältigen Aufgaben, mit denen sich die Einsatzkräfte im Gesamtverlauf des Geschehens konfrontiert sahen, konnten jedoch zufriedenstellend bewältigt werden. Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang insbesondere der Einsatz der TEL, die sehr schnell einen Gesamtüberblick über die mit 30 Quadratkilometern räumlich weit ausgedehnte Schadenslage gewann und die Koordination übernahm. Die „chaotische Phase“ konnte dadurch sehr kurz gehalten werden.

Das innerhalb kürzester Zeit verfügbare und sowohl  in personeller als auch materieller Hinsicht extrem hohe Potential, welches für derartige Ausnahmefälle wohl nur ehrenamtliche Hilfsorganisationen, allen voran die Gemeindefeuerwehren, aufbieten können, hat sich als großer Aktivposten von unschätzbarem Wert erwiesen.

Christian Gorber

Freiwillige Feuerwehr Überlingen

 


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