Die Überlinger Camphill Schulgemeinschaft Brachenreuthe rückte durch das Flugzeugunglück mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, denn um es herum stürzte die Tupolew ohne weiteren Schaden anzurichten. Was ist das besondere der Arbeit mit behinderten Kindern dort? In dem Bericht der 18 jährigen Diana Jagafarowa schildert sie ihre 2 monatige Praktikumserfahrung. Vor einem Jahr wurde bereits ein Bericht von ihr unter der Rubrik Briefe aus Ufa mit dem Titel "Impulse von Herz zu Herz" im Südkurier gedruckt. Darin schilderte sie, wie sie bei dem 1. Jugendbesuch besonders durch die Begegnung mit einem mongoloiden Mädchen beeindruckt wurde. Sie frug den Freundeskreises "Brücke nach Ufa" nun ob auch ein Praktikum dort möglich wäre, was wir gerne unterstützten, Herr Wegmüller aus Brachenreuthe sprach dann die Einladung aus. Der unvoreingenommene Blick der wirtschaftsenglisch Studentin aus Ufa lässt die "Zwei Monate eines anderen Lebens" zu einem authentischen Einblick in Brachenreuthe werden.
2. Bericht: Zwei Monate eines anderen Lebens I ch bin am 6. Juli nach Deutschland gekommen. Vor mir lagen zwei Monate Praktikum in Brachenreuthe, zwei Monate Ungewissheit. Bis zum letzten Moment vor meiner Ankunft im Camphill quälten mich Zweifel: Handle ich wirklich richtig? Kann ich mit behinderten Kindern zusammenleben? Reichen meine moralischen (oder physischen?) Kräfte aus, sie zu pflegen, sie zu lieben…? Ich wusste nicht, wie ich auf all das reagieren würde. |
Eine Sache ist, die Situation von außen zu betrachten und Camphill-Mitarbeiter zu bewundern, und eine ganz andere ist, in diese Welt zu geraten, ein Teil davon zu werden (oder wenigstens es zu versuchen…).
Am interessantesten war für mich der Aufbau der Kommune. Ich habe festgestellt, dass sie aus einigen Familien besteht, in denen die Kinder leben. Das sind nicht einfach die Häuser, wohin sie nach der Schule kommen, essen und schlafen, sondern richtige Familien, die für manche Elternersatz während der Schulzeit sind und für andere das einzige Zuhause auf der Welt sind.
Eine familiäre Atmosphäre umgibt das ganze Haus und alle seine Bewohner und so fängst du nach ein paar Tagen selbst an, dich als ein Familienmitglied zu fühlen. Das ist dein Zuhause, um dich herum sind deine Nächsten und du kannst doch deinen Nächsten nicht ohne Liebe begegnen?
Den ersten Teil meines Praktikums verbrachte ich im Kastanienhaus. Wahrscheinlich schaffen das Gefühl der Behaglichkeit die Menschen, die in diesem Haus arbeiten, die sich den Kindern widmen, die ihr Leben mit Brachenreuthe verbunden haben und es keinesfalls bereuen. Unter anderen spreche ich von Thomas Teichmann, dem „Haus-Vater“ (und die Kinder empfinden ihn auch so), sowie auch von Stefanie, Joan, Julia und Thomas.
Und die Kinder… Kinder sind Kinder unabhängig davon, ob sie krank oder gesund sind. Sie erwarten von dir Zärtlichkeit, Fürsorge, Bestätigung. Allerdings diese Kinder reagieren darauf aufrichtiger, begeisterter. Sie warten auf den Kontakt, spüren es, wenn er vorhanden ist, und erwidern immer diese Gefühle.
Brachenreuthe ist eine separate kleine Welt, die außerhalb der Politik, der Ökonomik, außerhalb der Grenzen, der Kriege und der Unglücke existiert. Sie ist sehr genügsam, aber nicht von der Außenwelt abgeschlossen, bloß werden nur diejenigen reingelassen, die mit Gutem kommen. Und ich glaube, dass es solche Menschen, die Liebe und Wärme im Herzen tragen, immer geben wird und dass es Brachenreuthe immer geben wird!
Vielen Dank für zwei unvergessliche Monate eines anderen Lebens, das sich so sehr von meinem Alltag unterscheidet, des Lebens, das ich verspreche, für immer in meinem Herzen aufzubewahren.
Diana Jagafarova
Brachenreute, den 15.08.03
1. Bericht
nach dem
Angehörigen- und Jugendbesuch aus Ufa am Bodensee vom Sa 27.07 - Mi 7.8.2002 zur Jugendtagung "Brücken unsere Chance".
Ich schließe meine Augen und
sehe ein Bild: ich steige die Treppe vom Flieger hinab, frischer Wind tätschelt
meine Haare, die Nacht breitet seinen Mantel über dem deutschen Land aus. Uns
empfangen lächelnde Menschen - dies ist so angenehm für die müden Reisenden.
Der erste Mensch, der uns begrüßt hat und den wir kennen gelernt haben war
Angelika Weinmann. Sie war sehr aufgeregt und wusste oft nicht, was sie uns denn
sagen soll. Aber jede ihrer Gesten war durch den Wunsch geprägt, uns mit Sorge
und Aufmerksamkeit zu umgeben, uns spüren zulassen, dass wir unter Freunden
sind, die schon lange und ungeduldig auf uns gewartet haben. Später fühlte ich
das für uns so erstaunliche Bestreben fast in jedem Deutschen, dem wir
begegneten. Beinahe zu Tränen rührten mich selbst gebackene Kuchen, die
Owinger uns brachten, und ihre anderen uneigennützigen Handlungen. Ich fühlte
wie Impulse von Herz zu Herz gingen.
Unser deutsches Leben war so farbig und intensiv, dass es für mich zu einem fröhlichen
euphorischen Zustand geworden ist, der mich während der ganzen Reise nicht
losließ. Aber über einen Tag möchte ich besonders berichten, weil er meine
innere Welt umgekrempelt und die inneren Werte verändert hat.
An dem Tag, dem 3. August, besichtigten wir ein wunderbares Pfahlbaudorf und
gingen zum Mittagessen in eine Sanatorium ähnliche Einrichtung - Camphill
Lichthof, bei uns nennt man diese Orte "Stätte der Trauer". Ich
wollte mich hinlegen und sterben. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine
Eltern mir in der Kindheit mit geisteskranken Menschen Angst gemacht hätten,
gesagt hätten, dass sie schlecht wären oder man sich vor ihnen fürchten müsste.
Sie waren anders als ich. Und im kindlichen Bewusstsein blieb eine
psychologische Barriere für lange Jahre. Auf der Straße wenden wir uns von
solchen Menschen im besten Fall ab. Wir tun so als gäbe es sie nicht.
Und da sah ich eine ganz andere Beziehung. Deutsche verstecken und grenzen aus
der Gesellschaft niemanden aus. Denn zum größten Teil sind die Menschen mit
Down-Syndrom nicht aggressiv, sehr neugierig und lieb. Die Umwelt beeinflusst die
Psyche. Sorge und Aufmerksamkeit, der Umgang mit normalen Menschen- das ist das,
was sie brauchen.
Ich vergesse nie das fröhliche Gesicht der behinderten Petra, als sie in
unseren Bus einstieg, um einen Ausflug zu machen. Sie erzählte etwas begeistert
ihrem Begleiter, ich verstand ihre Worte nicht, aber das war auch nicht nötig:
alles sagten ihre Augen, unschuldige vor Glück strahlende Kinderaugen.
Ich bin dankbar den Menschen, die dieses Camphill Lichthof gegründet haben, dafür,
dass sie den behinderten Menschen ein richtiges Leben ermöglichen: Arbeit,
Umgang mit anderen, das Gefühl der eigenen Notwendigkeit. Sie sind genauso wie
wir. Bloß etwas glücklicher sind sie, weil ihnen ihre Situation nicht bewusst
ist. Und es ist nicht nötig zu versuchen, ihnen dafür die Augen zu öffnen.
Ich bin sehr, sehr froh über den Besuch in Deutschland: neue Facetten des Lebens erschlossen sich vor mir. Und ich hoffe, dass die Begegnung mit den wunderbaren Menschen, die für uns für diese zwei Wochen zu Zauberern geworden sind, nicht die letzte war. Wir werden sehen…
Diesen Bericht im Südkurier:
03.12.2002 05:28 |
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